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Hannes' Welt

Die späten 20er Jahre in Holstein

In Berlin tanzen sie bis in den Morgen, in Holstein lästern sie über die moralische Verkommenheit der Städte und lehnen sich gegen den Staat auf, wie sonst nirgendwo in Deutschland. Sie zerreißen Steuerbescheide, verhindern Zwangsversteigerungen, organisieren Massendemonstrationen und terrorisieren schließlich sogar Behörden und staatsloyale Privatleute mit Bomben und Handgranaten.

Diese Ereignisse in der holsteinischen Provinz sind weniger bekannt, als sie es sein sollten. Wer sich mit ihnen beschäftigt, dem wird das Scheitern der jungen Republik aus einer neuen Perspektive und mit großer Deutlichkeit vorgeführt.

1928 erhielt die NSDAP im Durchschnitt 2,6 Prozent der Stimmen, in den holsteiner Landkreisen Steinburg und Dithmarschen waren es 10 und 17 Prozent. Bei der Wahl im Juli 1932, also ein halbes Jahr vor der Machtergreifung, gab es schon zahllose holsteiner Gemeinden, in denen die Nationalsozialisten 70, 80 oder sogar 100 Prozent der Stimmen gewannen (gegenüber einem Durchschnittwert von 37 Prozent).

Wer in dieser Gegend lebt und solche Zahlen liest, muss erst einmal schlucken. Aber natürlich haben diese Zustimmungswerte nichts mit dem Menschenschlag zu tun, sondern mit klar benennbaren historischen Faktoren. Die holsteiner Bauern gehörten seit jeher zu den reichsten Landwirten in ganz Norddeutschland und konnten im Mittelalter teilweise über lange Zeit ihre Unabhängigkeit vom Adel aufrechterhalten. Entsprechend groß war ihr Selbstbewusstsein. Als nun nach 1918 die Landwirtschaft insgesamt gesellschaftlich an Bedeutung verlor, waren sie diejenigen, die das am wenigsten akzeptieren konnten. Hinzu kam, dass sie von der Agrarkrise besonders stark betroffen waren, da sie eine kapitalintensive Rinder- und Schweinemast betrieben. Zahllose Bauern verschuldeten sich und gingen in Konkurs, während aufgrund der neuen Handelsverträge, die Deutschland abschließen konnte, immer mehr billige Konkurrenzprodukte importiert wurden. Die verhassten Regierungen in Berlin nahmen das offensichtlich in Kauf, um der Industrie Exporte zu ermöglichen.

Was lag also näher, als die verbliebene Macht in der Region zu nutzen, alle Unzufriedenen in der „Landvolkbewegung“ zu versammeln und mit völkischen, monarchistischen und antisemitischen Parolen aufzustacheln? 140.000 Menschen gingen an einem Tag auf die Straße und forderten eine Blut-und-Boden-Politik, in der sie selbst eine führende Rolle einnehmen sollten. Hitler und seine Männer brauchten nur zu warten, bis die unorganisierte neue Bewegung abebbte, um sie zu beerben. Eine bessere Vorarbeit hätte es nicht geben können.

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